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Transduktionen: Klang als Schnittstelle – Berlin
Mai 29, 2019
Programm
Liza Lim – Invisibility (2009) für Cello solo mit zwei Bogen
Davide Gagliardi – Neues Werk (2019) für Violine, Cello und Live-Elektronik
Andrés Gutiérrez Martínez – Draht (2016) für Violine, Cello und Kontrabass
Agostino Di Scipio – Violazioni della presenza (2018) für Violine und Live-Elektronik
Luc Döbereiner – Neues Werk (2018-19) – für Cello, Kontrabass und Live- Elektronik
Lula Romero – die Wanderung III (2015-16) für Cello und Live-Elektronik
Daniela Fantechi – “Sistema di prossimità” (2018) für Violine, Cello, Kontrabass und Elektronik und Live-Elektronik
Klang existiert auf vielfältige Weisen. Er ist einerseits das gehörte Phänomen, d.h. ein Gegenstand der Wahrnehmung, der selbst immer auf einen realen oder nicht-realen Ursprung verweist. Wir hören einen Klang und damit immer auch ein Ereignis, eine Handlung, einen Raum oder Gegenstand, Andererseits ist Klang eine sich räumlich ausbreitende Oszillation, eine Bewegung, die verschiedene Körper und Medien verbindet und berührt. Die Medien durch die sich Klang ausbreiten und in denen er gespeichert und übertragen wird sind vielfältig. Klang ist ein digitales Signal, eine Schallwelle, ein vibrierender Körper oder eine elektromagnetische Welle, die Spuren hinterlässt und unterschiedliche Räume und Zeitebenen miteinander verbindet. Dabei macht er räumliche und körperliche Eigenschaften wahrnehmbar, geht aber auch – wie z.B. der Ultraschall – über das Wahrnehmbare hinaus. Klang ist also eine verbindende Bewegungen, eine Transduktion, die Subjekt und Objekt durchzieht.
Die verschiedenen Stücke des Programms untersuchen materielle Eigenschaften von Klang und seiner Produktion und erforschen körperliche Dimensionen akustischer Instrumente in ihrer Verbindung mit technologischer Klangverarbeitung. Dabei wird Klang als unberechenbares emergentes Ergebnis materieller Prozesse verstanden. Die Stücke untersuchen verschiedene Arten, wie diese Unberechenbarkeit performativ hervorgerufen werden kann. Instabile Zustände und unvorhersagbare Ereignisse in der physikalischen Klangerzeugung durch die spezifischen Eigenschaften der drei Streichinstrumente, sowie die Materialität der technologischen Mittel samt ihres systemischen Verhaltens stehen dabei im Vordergrund.
Die Ansätze der verschiedenen KomponistInnen teilen dabei ein Verständnis von Technologie, das nicht auf die virtuose Realisierung bereits existierender Vorstellungen abzielt, sondern Technologie als Möglichkeit begreift, explorativ dynamische Verknüpfungen zwischen Menschen, Maschinen, Räumen und Dingen herzustellen.
Titelgebend für dieses Projekt ist eine Formulierung des Komponisten Agostino Di Scipio, der einen systemtheoretischen Blick auf live-elektronische Musik geprägt hat.
Di Scipio beschreibt einen Ansatz, nach dem die Interaktionen zwischen Komponenten eines Systems, welche Instrumente, Mikrofone oder Klangverarbeitungen sein können, immer im Medium Klang selbst stattfnden. Dass heißt, Klang wird das Interface, die Schnittstelle zwischen Technologien, Bewegungen, Räumen und Körpern. In diesem Projekt gilt das in einem erweiterten Sinne nicht nur für live-elektronische Werke, sondern auch für rein akustische Stücke, wie in der Komposition „Draht“ des mexikanischen Komponisten Andrés Gutiérrez Martínez und in Liza Lims „Invisibility”, das die Berührbarkeit und Unvorhersehbarkeit des Klangs untersucht, wobei sich der Titel auf „die unsichtbaren oder latenten Kräfte des physischen Aufbaus des Instruments“ (Lim) bezieht. In Di Scipios 2018 für das Ensemble geschriebenem Stück „Violazioni della presenza“ werden Geige, elektroakustische und digitale Elemente als „hybrides System“ gedacht, indem die Geige die Aufgabe hat, „das Netz von Beziehungen in dem sie sich befindet zu stören und zu gefährden“ (Di Scipio). In Daniela Fantechis Werk werden Kontakt-Mikrofone wie ein Stethoskop zur Vergrößerung und räumlichen Ausbreitung leiser und lokalisierter Klänge der Streichinstrumente verwendet. Die Kontakt-Mikrofone werden somit Teil des Instruments. Das Programm umfasst auch zwei Uraufführungen. Die Komposition des Berliner Komponisten Luc Döbereiner befasst sich damit, wie Klänge einander begegnen können und wie digitale Klangerzeugung als Vermittler instrumentaler Klänge agieren kann. Die Komposition des in Graz lebende Komponisten Davide Gagliardi setzt sich damit auseinander, wie Klang als Schnittstelle in einem Feedback-basierten System fungieren kann. Das Stück „die Wanderung III“ der Berliner Komponistin Lula Romero ist Teil eines größeren Zyklus und beschäftigt sich mit verschiedenen Ebenen der Umdeutung und Übersetzung, wobei Instrument, Notation, Raum und Elektronik verschiedene Schnittstellen bilden, durch die sich musikalisches Material bewegt und transformiert.
(Text: Luc Döbereiner)